Synodaler Weg

Kardinal Rainer Maria Woelki hat davor gewarnt, dass der Reformdialog Synodaler Weg in eine "deutsche Nationalkirche" führen könnte. "Das schlimmste Ergebnis wäre es, wenn durch den Synodale Weg hier so etwas wie eine deutsche Nationalkirche entstehen würde."

Zugleich zog Woelki eine positive Bilanz der jüngsten Diskussionen auf dem Synodalen Weg, die wegen der Corona-Pandemie in fünf regionalen Konferenzen geführt wurden.

Die kleineren Teilnehmerkreise hätten einen besseren Austausch der Argumente ermöglicht, als dies in der Synoden-Vollversammlung der Fall gewesen sei.
Mit Nachdruck wandte sich Woelki dagegen, beim Thema Frauen-Priesterweihe "unerfüllbare Hoffnungen" zu wecken. Dies führe zu Frustration, denn diese Frage sei definitiv von Papst Johannes Paul II. entschieden worden. "Ich kann es nicht so behandeln, als sei die Frage offen. Dann findet die Diskussion außerhalb der Lehre der Kirche statt", sagte der Kardinal.

Kritik übte Woelki am theologischen Niveau einiger Arbeitspapiere des Synodalen Wegs und erklärte: "Die gesamte Welt schaut momentan auf die Kirche in Deutschland und auf diesen Synodalen Weg, da können wir es uns einfach nicht erlauben, uns theologisch durch Unbedarftheit zu blamieren." Er forderte Theologinnen und Theologen von innerhalb und außerhalb des Weges auf, sich stärker in die Debatte einzubringen.

Zugleich äußerte er die Hoffnung, dass es dem Synodalen Weg gelingen könne, "eine wirkliche Reform anzustoßen, die auf jeden Fall in der Kirche notwendig ist". Diese Reform müsse "alle Erscheinungsbilder und Wirklichkeiten, die vom Wesen der Kirche weggeführt haben, korrigieren". Es gehe darum, die Kirche nicht als ein "rein soziologisches Gebilde" zu verstehen, sondern zu begreifen "dass sie Werk Gottes ist". Ziel jeder Kirchenreform müsse eine Annäherung an Christus und seine Botschaft sein.

Der Kardinal beklagte, viele Katholiken wüssten nicht mehr, "wer Christus ist, was die Kirche ist, sie wissen nicht mehr, was ein Sakrament ist, was die sakramentale Struktur der Kirche ist". Die Rede von "unserer Kirche" kritisierte Woelki und sagte: "Es ist vor allen Dingen Seine Kirche. Und damit gibt es Vorgaben, die unserer Verfügungsgewalt entzogen sind."
(kna - cs)


Christentum, Judentum, Islam: Wie Religion radikal wird

Von Christoph Paul Hartmann | Bonn - 06.08.2020

Religiöse Radikalisierung ist immer wieder Thema in den Medien, vor allem, wenn es um den Islam geht. Doch Mitglieder aller Religionen können heute radikal werden - und das hat manchmal nur sehr wenig mit dem Glauben zu tun: Oft sind es viele Ursachen, die sich gegenseitig beeinflussen.

Mitten im pulsierenden Leben New Yorks gibt es Menschen, die davon nichts mitbekommen: Denn im Stadtteil Williamsburg leben chassidische Gemeinden, Mitglieder von ultraorthodoxen jüdischen Gruppen, die sich der Welt um sie herum völlig verschließen und deren Leben aus der Befolgung strengster Regeln besteht. Gleichzeitig sorgt der islamistische Terrorismus für Angst und Schrecken oder junge Männer ziehen in christlicher Mission "für Gott" in die Ostukraine, um dort gegen das "schwule, dekadente Europa" zu kämpfen.
Religiöser Fundamentalismus und religiöse Radikalisierung sind heute allgegenwärtig und betreffen alle Religionen. Obwohl ihre Vertreter oft ähnliche Beweggründe haben, sind die Folgen sehr verschieden. Wer fundamentalistisch denkt, richtet das gesamte Leben an heiligen Texten und religiösen Geboten aus, andere Einflüsse werden aus dem eigenen Leben oft ferngehalten. Radikale gehen noch einen Schritt weiter: Sie wollen dafür sorgen, dass die gesamte Gesellschaft ihre Glaubensansichten teilt und sich nach diesen Regeln richtet. Sie wollen andere Menschen also überwältigen; das kann - muss aber nicht - durch Gewalt geschehen.
Warum Menschen zu religiösen Radikalen werden, lässt sich ganz schwer auf einen Nenner bringen. Es gibt aber Übereinstimmungen in den Biografien zahlreicher späterer Radikaler. Viele teilen etwa die Erfahrung persönlicher Krisen: Sie sind als Jugendliche auf die schiefe Bahn geraten, ihre Eltern sind gestorben, haben sich getrennt oder sind seit langer Zeit arbeitslos. Nicht selten müssen die Jugendlichen auch mit eigenem Scheitern - etwa in der Schule - oder Diskriminierung umgehen.

Einfache Antworten auf komplexe Fragen
In einer solchen Situation können diese jungen Menschen dann auf Leute treffen - in der Schule oder Freizeit, zum Teil auch im Gefängnis -, die ihnen scheinbar einfache Antworten und Erklärungen für ihre Situation liefern: In dieser (vorgeblich ungläubigen) Gesellschaft könnten sie eh nichts erreichen. Sie müssten sich auf ihre Wurzeln besinnen und sich wehren, dann könnten sie stark sein. Die krisengebeutelten Jugendlichen kommen jetzt mit einer radikalen Gruppe in Berührung, die ihnen mit einer klaren, schlichten Ideologie Halt und ein Selbstwertgefühl gibt. Der französische Politikwissenschaftler Olivier Roy fasst sie zusammen als jene, "die nach einem sehr profanen Leben (Clubs, Alkohol, Kleinkriminalität) plötzlich zur Religiosität zurückfinden, und zwar entweder individuell oder in einer kleinen Gruppe (nie im Rahmen einer religiösen Organisation)", schreibt er in seinem jüngsten Buch "Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod". Es ist wichtig festzuhalten, dass diese Radikalisierung kaum in herkömmlichen religiösen Zusammenhängen stattfindet. Es radikalisieren sich nicht in erster Linie die bereits Religiösen, sondern die, die mit Religion vorher nicht viel zu tun hatten. Gruppen bilden sich entweder um eine starke Persönlichkeit herum oder es handelt sich um "eine Gruppe Kumpels oder Freunde, die sich mal seit der Kindheit kennen, mal im Gefängnis oder auch in einem Ausbildungslager begegnet sind", formuliert es Roy.
In diesen Gruppen beginnen nun innere Prozesse, die die Mitglieder weiter radikalisieren: Sie fangen an, sich gegenseitig zu beobachten; jeder will der Beste, der Frommste, der Radikalste sein. Nach außen hin schließen sie sich immer mehr ab, Kontakte zu Familie und Freunden werden oft auf Eis gelegt. Diesen Schließungsprozess hat der Osnabrücker Islamwissenschaftler Michael Kiefer anhand einer Chatgruppe radikaler islamischer Jugendlicher erforscht: "Die Mitglieder haben sich gegenseitig aufgefordert, mit Angehörigen nicht mehr über bestimmte Dinge zu reden, sie über ihre Motive zu belügen und zu täuschen. Als einer aus der Gruppe zu einem Beratungsangebot musste, wurde ihm von der Gruppe vorgegeben, was er sagen sollte."

 

Vatikanbehörde wehrt sich gegen unberechtigte Erwartungen

Von Roland Juchem (KNA)
Das am Pfingstmontag veröffentlichte Dokument der Römischen Bildungskongregation "Als Mann und Frau schuf er sie" zum Thema Gender-Theorien und Erziehung stößt auf teils heftige Kritik.

Die Hauptvorwürfe: Der Text entspreche nicht dem Stand der Diskussion.

Weite Felder der Gender-Forschung würden ausgelassen, ebenso wenig medizinische, psychologische oder sozialwissenschaftliche Studien zur Thematik genannt. Auch mit Betroffenen sei nicht genügend gesprochen worden. Auf scharfe Kritik stößt etwa der Hinweis im vatikanischen Dokument, in Fällen, in denen das körperliche Geschlecht einer Person nicht klar bestimmt ist, seien "es professionelle Mediziner, die einen therapeutischen Eingriff vornehmen können". Für die Organisation "Homosexuelle und Kirche" (HuK) ist dies ein Aufruf "zu Menschenrechtsverletzungen an intersexuellen Kindern".
In der Bildungskongregation verteidigt man sich mit dem Hinweis, die Vorwürfe gingen sowohl an der Aufgabe der Kongregation wie am Anliegen des Textes vorbei. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema "Gender" sei nicht beabsichtigt. Vielmehr wolle man auf die seit Jahren bei rund zwei Drittel aller Ad-limina-Besuche gestellten Rückfragen von Bischöfen antworten. Diese wollten wissen, wie sie und die Verantwortlichen ihrer Schulen und Universitäten sich zu dem kontroversen und oft diffus diskutierten Thema verhalten sollten.
Dabei ist immer wieder von Vorwürfen, vor allem aus Afrika, zu hören, westliche Geldgeber verlangten Gender-Mainstreaming oder LGBT-Themen in der Schule, bevor sie Entwicklungsprojekte unterstützen. Dem Vernehmen nach gipfelt derartige Kritik am "ideologischen Neokolonialismus" des Westens in den Vorwürfen: Wir müssen erst unseren Kindern sagen, dass sie genauso gut schwul oder lesbisch leben können, damit sie Brunnen bekommen, um trinken zu können.
Fragt man genauer nach, wo und wie Entwicklungshilfe mit derartigen Bedingungen verknüpft sei, wird es dünn. Genannt wird etwa ein Besuch der US-Demokratin Hillary Clinton in Uganda in ihrer Eigenschaft als Vorsitzende der Clinton-Stiftung, bei der sie die Beachtung der Gender-Thematik als Bedingung für Hilfszusagen gemacht habe. Auch der damalige britische Premier David Cameron soll 2011 eine entsprechende Drohung bei einer Commonwealth-Konferenz ausgesprochen haben, was nach der Familiensynode 2014/2015 wiederholt als Beispiel derartiger Bevormundung genannt wurde. Zwar können Menschenrechtsfragen in der Entwicklungszusammenarbeit nicht ausgeklammert werden. Gleichzeitig sind sich entsprechende Organisationen in der Ablehnung zu starker Konditionierung von Hilfen weitgehend einig.

 

Aus extrem konservativen Kreisen wird immer wieder der Vorwurf erhoben, Gender-Theorie sei eine "totalitäre Ideologie", angetreten, die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen zu leugnen und zu beseitigen. Wohl auch darauf bezieht sich das Dokument der Bildungskongregation, wenn es Gender-Vorstellungen kritisiert, die "Manipulationen des Körpers nach Belieben" befürworten. Es gelte Gender-Forschung und Gender-Ideologie zu unterscheiden, so der Präfekt der Kongregation, Kardinal Giuseppe Versaldi.
Die Rede von einer Gender-Ideologie hält die Osnabrücker Theologin Margit Eckholt indes für einen "Papiertiger", inszeniert aus unzutreffenden Vorwürfen. Getrübt wird die oft emotionale Diskussion durch Ängste, Empfindlichkeiten und Desinformationen. So bleibt häufig unklar, welche Anliegen genau unter der Überschrift Gender verhandelt werden sollen: die Förderung von Frauen in verantwortlichen Positionen, die Durchsetzung ihrer rechtlichen Gleichstellung, Lehrplaninhalte zu Sexualität, Ehe und Familie, Anerkennung homosexueller Partnerschaften, Ablehnung der Kriminalisierung von Homosexualität, geschlechterspezifische Medizin und vieles andere mehr.
David Cameron etwa ging es um die Kriminalisierung von LGBT, weil Uganda in den vergangenen zehn Jahren Strafen für Homosexuelle verschärft hat. Auf der anderen Seite haben Malawis Bischöfe an deutsche Geldgeber das Anliegen herangetragen, in der Kirche Frauen stärker fördern zu wollen. Wie wichtig es ist, bei Entwicklungsprojekten Frauen zu befähigen, einzubinden und zu beteiligen, ist weitgehend unbestritten. Gleichzeitig sorgen Ankündigungen, hier oder dort würde speziell etwas für Frauen gemacht, auch für Spannungen, berichtet Markus Büker, Grundsatzreferent bei Misereor. Daher laute eine Frage bei Projektprüfungen inzwischen: Wie kommen Frauen und (!) Männer darin vor?
Während der Familiensynode betonten nicht nur afrikanische Teilnehmer den Schutz der Ehe von Mann und Frau und deren Familie. Diese spielten in ihren Gesellschaften angesichts der Schwäche staatlicher und anderer gesellschaftlicher Strukturen eine wesentlich stärkere Rolle. Der Grund, weshalb die Kongregation für katholische Erziehung einen solchen Text verfasst hat, ist die Frage: Wer entscheidet, was Kinder und Jugendliche in der Schule über Geschlechtlichkeit, Sexualität, Familie lernen, wie sie ihre Identität finden. Da lautet der katholische Grundsatz: Dies ist Recht und Pflicht vor allem der Eltern.

Eine etwas ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Thema Gender und Sexualität könnte in Kürze von der Päpstlichen Bibelkommission kommen. Die 20 Mitglieder zählende Kommission, deren aktuelle Amtszeit mit dem Jahr 2019 endet, hat dem Papst ein Dokument zur biblischen Anthropologie vorgelegt. In rund 190 Seiten geht sie unter anderem auf die Frage Mann/Frau, Homosexualität ein. Der Ansatz jedoch ist weiter gefasst: "'Che cosa è l'uomo?' (Ps 8,5). Un itinerario di antropologia biblica" (Was ist der Mensch? Eine Wegbeschreibung biblischer Anthropologie).

 

 

Mit dem Ruf nach "Selbstbestimmung" wurde der Schutz des Lebens an seinem Ende ausgehöhlt. In der neuen Abtreibungsdebatte gerät nun der Beginn des Lebens ins Visier.
Von CHRIST IN DER GEGENWART
6.1.2019

Es zeichnet sich ab: 2019 könnte entscheidend dafür werden, wie wir als Gesellschaft mit dem Leben an seinem Beginn umgehen. Bereits das gesamte letzte Jahr über schwelte im politischen Berlin ja die Debatte über die Neuregelung von Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, der die sogenannte Werbung für Abtreibungen verbietet. Die Heftigkeit, mit der dabei gestritten wurde, zeigt, dass es manchen Kreisen um deutlich mehr geht als "nur" um bessere Informationsmöglich-keiten für Schwangere in Gewissensnöten. So mancher will die in harten Kämpfen gefundene, letztendlich bewährte deutsche Regelung kippen: Abtreibung ist demnach als Tötung mensch-lichen Lebens ein Unrecht und daher verboten - wird aber in den ersten drei Schwangerschafts-monaten strafrechtlich nicht verfolgt, wenn sich die Betroffene über Hilfsmöglichkeiten beraten lässt.

Nur mit größter Mühe fanden die Regierungs-parteien kurz vor Jahresende einen Kompromiss in der "Werbe"-Frage. Aber das Thema ist nur vertagt: In abgewandelter Form dürfte es wiederkehren, wenn der Bundestag darüber debattiert, ob die gesetzlichen Krankenkassen den vorgeburtlichen Bluttest auf das Down-Syndrom bezahlen sollen. Auch da geht es darum, wie die Gesellschaft ungeborenes Leben schützt, letztlich darum, welche Gesellschaft wir anstreben. Denn neun von zehn Frauen entscheiden sich schon jetzt für eine Abtreibung, wenn sie erfahren, dass bei ihrem Kind auch nur ein erhöhtes Risiko für eine Behinderung besteht. Soll man das gewissermaßen gutheißen, indem der Gentest zum Regelkatalog der Krankenkassen erhoben wird?

Lange Zeit ging es vor allem um das Lebensende, bei dem in der Politik, in den Medien einer vermeintlichen Selbstbestimmung das Wort geredet wurde, als wäre es der höchste Ausdruck menschlicher Freiheit, sich bei schwerster Krankheit selbst zu töten. Nun also hat man den Beginn des Lebens ins Visier genommen.

Die Nöte und Probleme ungewollt Schwangerer sollen dabei in keiner Weise kleingeredet werden. Aber allzu oft wird auch hier mit der "Selbstbestimmung" argumentiert: dass ein Kind nur dann erwünscht ist, wenn es zur persönlichen und beruflichen Situation "passt".

Tragisch ist, dass die Kirche aufgrund der Missbrauchsskandale ihre Glaubwürdigkeit in wesentlichen ethischen Fragen eingebüßt hat.

Wie wichtig wäre jetzt, angesichts eines anders-lautenden gesellschaftlichen Mainstreams, ihre Botschaft für das Lebensrecht der Schwächsten, Behinderten, derer, die keine Lobby haben.

Haben wir nicht an Weihnachten gefeiert, dass Heil durch ein Kind in die Welt kam, dessen Geburt Maria und Josef sicher auch nicht "passte"? Und dieser Tage steht ein Fest im Kalender, bei dem drei "Könige" vor dem Wunder des Lebens die Knie beugen.

 

Wie leicht kann man die Volksseele zum Kochen bringen.

Der Historiker Wolfgang Benz über das "Lernen aus der Geschichte"

Am 9. November 1938, vor 80 Jahren, entlud sich bei den Novemberpogromen in Deutschland Gewalt gegen Juden, Synagogen und Geschäfte. Der Historiker und Extremismusforscher Wolfgang Benz erklärt die Bedeutung dieser Ereignisse und deren Folgen bis heute.

© Herr Benz, welche Bedeutung hatten 1938 die Geschehnisse vom 9. November?
BENZ: Der 9. November, für den sich damals der Ausdruck Reichs-kristallnacht rasch einbürgerte, war eine Wende: von der Diskrimi-nierung der Juden in Deutschland zur Verfolgung. Man kann sagen, dass der Holocaust am 9. November 1938 begann. Ab da wurde Gewalt öffentlich und staatlich sanktioniert gegen Juden angewendet.

© Was war die Folge?
BENZ: Unmittelbar folgte die vollkommene Vertreibung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben. Bis zum Ende des Jahres 1938 mussten - Stichwort "Arisierung" - alle Juden weit unter dem realen Wert ihre Geschäfte und Unternehmungen verkaufen. Daran berei-cherten sich schamlos Nichtjuden. Es wurde den Juden eine Sonder-steuer in Höhe von einer Milliarde Reichsmark auferlegt. Jüdisches Leben war damit am Ende, Juden verschwanden aus dem öffent
lichen Bild.

© Wie hat man damals darüber geredet?
BENZ: Es war eine fromme Lüge, wenn Leute sagten: Das waren nicht wir, die die Synagoge zerstört haben; die Nazis haben von anderen Orten Fremde kommen lassen, die die Leute nicht kannten. Das stimmt nicht. Es gibt eine schier unendliche Zahl von Beweisen: Es waren Nachbarn, es waren Geschäftsfreunde, die wie die Barbaren hausten, die auf alte Frauen und Männer einschlugen, die "Judensau" schrien. Auch an kleinen Orten, nicht nur in der anonymen Stadt. Jeder wusste ganz genau, was vorging.

© In Chemnitz wurde unlängst ein jüdisches Restaurant angegriffen. Hegen Sie Befürchtungen?
BENZ: Wenn wir an die Hetzjagd gegen Asylsuchende in Chemnitz denken oder an Vorfälle gegenüber den bei vielen unerwünschten Muslime, muss es einen nachdenklich machen, wie leicht man die Volksseele zum Kochen bringen kann. Wie gefährlich das ist. Wie leichtfertig handeln Leute, die als Islamkritiker auftreten oder etwas gegen Flüchtlinge haben und die sich stimulieren lassen beziehungs-weise andere stimulieren, ihren Hass gegen Fremde auszuleben.

© Jetzt sprechen Sie über Muslime.
BENZ: Wir sind zu Recht aufgeregt, wenn einem Juden etwas geschieht. Aber wir sind nicht genug aufgeregt, wenn Hunderttausende Muslime beleidigt en en. Was damals Juden angetan wurde, ist unverzeihlich. Wir müssen ver en en, dass sich in Deutschland eine, egal welche, Minderheit unsicher fühlt; dm sich der rabiate und unendlich leicht zu stimulierende Hass gegen andere, weil sie Roma, Juden oder Muslime sind, Bahn bricht.

© Der Hass lässt sich zum Beispiel besonders leicht entfachen, wenn schwere Straftaten von muslimischen Einwanderern bekannt weden.

BENZ: Naja, man liest auch vono schweren Straftaten, welche katholische Priester begangen haben. Aber man verdammt deshalb nicht jeden Katholiken in Grund und Boden. Ein Straftäter ist ein Straftäter, unabhängig von seiner Herkunft oder Religion und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb dürfen aber nicht alle, die sozusagen die gleiche Jackenfarbe tragen, automatisch als Straftäter behandelt werden.

© Lernen Menschen denn nicht aus der Geschichte?
BENZ: Es ist offenbar ganz schwierig, aus der Geschichte zu lernen. Ich spreche von der Überwindung des Nationalismus, von Moderni-sierung und Globalisierung, deren Früchte auch die Rückwärtsgewand-ten genießen. Zu viele wollen nicht aus der Geschichte lernen. Obwohl Adolf Hitler als Populist seine Laufbahn als Menschheitsverbrecher begonnen hat.

 

Noch gibt es Vorbehalte
Erstmals konservative Rabbinerin in Deutschland ordiniert

Noch nie wurde in Deutschland eine konservative Rabbinerin ordiniert. Deshalb war es eine Premiere, als jetzt im Großen Saal des Gemeindehauses der Jüdischen Ge-meinde zu Berlin das Zacharias Frankel College seine erste Absolventin zur Rabbinerin zum geistlichen Amt bestellte. Die bisher einzige konservative Gemeinde-Rabbinerin in Deutschland, Gesa Shira Ederberg von der Synagoge Oranienburger Straße in Berlin, wurde 2002 in Jerusalem ordiniert.

Nizan Stein Kokin, Jahrgang 1974, stammt aus Ittersbach in Baden-Württemberg und hat ihre Ausbildung als erste Absolventin des konservativen/Masorti Rabbi-nerseminars an der School of Jewish Theolo-gy der Universität in Potsdam abgeschlossen.

Der hebräische Begriff "Masorti" bedeutet "traditionell", und Gläubige, die sich dieser Ausrichtung des Judentums verbunden fühlen, stehen zwischen dem liberalen und dem orthodoxen Zweig ihrer Religion. Rabbiner Zacharias Frankel (1801-1875), dessen Namen das College in Berlin trägt, gilt vielen als Vordenker des Mittelwegs zwischen jüdischer Orthodoxie und klassischer jüdischer Reform-bewegung. Er war Gründungsdirektor des Jüdisch-Theologischen Seminars in Breslau, das von 1854 bis 1938 bestand.

Die Frauenordination ist im Judentum international seit Jahrzehnten üblich. Gegenwärtig gibt es etwa 1000 Rabbinerinnen weltweit - davon etwa 40 in Europa, und in den jüdischen Gemeinden in Deutschland wirken aktuell sieben Frauen im geistlichen Amt.

Deutschland war wegweisend bei der Frauenordination im Judentum. Weltweit erste ordinierte Rabbinerin war die Berlinerin Regina Jonas. 1935 erhielt sie ihre Smicha, doch 1944 wurde sie im KZ Auschwitz-Birkenau umgebracht. "Regina Jonas war Anfang 40, als sie in Auschwitz ermordet wurde.

Für mich hat das einen ganz persönlichen Bezug, weil ich auch gerade Anfang 40 bin, und ich hoffe, dass ich im Seelischen oder im Persönlichen in ihre Fußstapfen treten kann", sagt die neue Rabbinerin Stein Kokin.

Liturgie ist ihr wichtig.
Stein Kokin studierte zehn Semester Judaistik und lebte in dieser Zeit sieben Jahre lang in Israel. Danach war sie als Lehrerin in jüdischen Religionsschulen in den USA beschäftigt. Sie spricht neben Englisch und Deutsch auch fließend Hebräisch. Bewusst hat sie sich gegen eine akademische Karriere entschieden - auch mit Blick auf ihren amerikanischen Mann, einem Juniorprofessor für Judaistik, und ihre zwei schulpflichtigen Töchter.

Rabbinerin wollte sie auch werden, weil sie einerseits die jüdischen Gottesdienste und die Liturgie wichtig findet und andererseits aktiv im Gemeindeleben für die Menschen mitwirken will. Im Gespräch betonte sie: "Ich mache das, weil ich Gott, die Tora und das jüdische Volk liebe." Zu den Schwerpunkten ihrer Rabbinerinnen-Ausbildung in Potsdam, Berlin und Los Angeles zählten Bibel- und Talmudstudium, jüdisches Gesetz und Brauchtum sowie die praktische Ausbildung mit Seelsorgeseminaren. In die USA wird die neue Rabbinerin nach ihrer Ordination erst einmal zurückkehren, weil sie dort ein interessantes Jobangebot erhielt.

Offensichtlich haben es Rabbinerinnen in den jüdischen Gemeinden Deutschlands noch schwer akzeptiert zu werden. Rabbiner Walter Homolka vom Abraham Geiger Kolleg, der zugleich Geschäftsführer des Zacharias Frankel College ist, meint dazu: "Ich glaube, dass es Frauen in jüdischen Gemeinden schwer haben. Aber die Gleichberechtigung der Frau schreitet auch bei uns voran.

Diejenige, die sich für diesen Beruf entscheidet, muss sich darüber im Klaren sein, dass sie einen schweren Weg geht. Unser Ziel ist natürlich, dass das Rabbinat kein Prekariat wird, sondern dass Frauen diesen Beruf auch glücklich ausüben."
KNA

 

"Europa verrät seine christlichen Werte"
Europa darf sich nicht abschotten, sagt Jesuit und Fluchtexperte Frido Pflüger.

Von Steffen Zimmermann

Im katholisch.de-Interview erklärt er, was sich an der Situation etwa im Mittelmeer dringend ändern müsse.

Mit Verweis auf eine veränderte Sicherheitslage haben zahlreiche Hilfsorgansationen in den vergangenen Tagen ihre Seenotrettung auf dem Mittelmeer vorerst gestoppt. Pater Frido Pflüger beobachtet diese Entwicklung mit großer Sorge. Im Interview mit katholisch.de spricht der Direktor des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes in Deutschland über mögliche Folgen für die Flüchtlinge, die in Afrika auf ihre Weiterreise nach Europa warten. Außerdem übt er scharfe Kritik an der Abschottungspolitik der Europäischen Union und empfiehlt stattdessen Uganda als Vorbild für den Umgang mit Flüchtlingen.

Frage: Pater Pflüger, in den vergangenen Tagen haben zahlreiche Hilfsorganisationen mit Verweis auf Angriffe der libyschen Küstenwache ihre Seenotrettung für Flüchtlinge auf dem Mittelmeer weitgehend eingestellt. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Pflüger: Nachdem wir schon lange erleben, dass die Flucht nach Europa kriminalisiert wird, sehen wir jetzt mit großer Sorge, dass auch die Retter kriminalisiert werden. Das führt dazu, dass die libysche Küstenwache mit dem Segen der Europäischen Union mehr Kontrolle im Mittelmeer übernimmt - das lässt nichts Gutes erahnen. Europa stärkt damit auch eine Entwicklung, in der kriminelle Banden und Warlords immer mehr Macht über die libysche Küste bekommen.


Frage: Welche Folgen hat das für die Flüchtlinge, die noch in Libyen sind und auf ihre Überfahrt nach Europa hoffen?
Pflüger: Libyen hindert Flüchtlinge schon jetzt auf brutale Art und Weise an der Flucht nach Europa. Stattdessen müssen sie in Internierungslagern ausharren, in denen sie massiver Gewalt und Misshandlung ausgesetzt sind. Viele der Betroffenen wären in Europa übrigens asylberechtigt. Aber Europa tut alles, damit sie ihr Asylrecht hier nicht einfordern können.

So hilft der Jesuiten-Flüchtlingsdienst:

In Italien, wo weiterhin viele Flüchlinge ankommen, betreibt der Jesuiten-Flüchtlinsdienst unter dem Namen "Centro Astalli" mehrere Anlaufstellen für geflüchtete Menschen. Dort können die Betroffenen ein warmes Essen und andere Hilfen bekommen; für besonders Schutzbedürftige werden auch Notunterkünfte angeboten. Außerdem hilft der Flüchtlingsdienst bei der Suche nach einer Wohnung und einer Arbeitsstelle. In Deutschland bietet der Dienst Flüchtlingen unter anderem Rechtsberatung an, unterstützt sie in Kirchenasyl und Abschiebehaft und engagiert sich in der Berliner Härtefallkommission.

Frage: Welche Forderung haben Sie angesichts der aktuellen Entwicklung an die Politik?
Pflüger: Europa muss endlich aufhören, sich durch rücksichtslose Deals abzuschotten. Diese Abkommen zur so genannten Migrationskontrolle dienen nur dazu, uns in Europa die Flüchtlinge vom Hals zu halten. Die EU muss endlich sichere und legale Zugangswege ermöglichen. Dies würde nicht nur die Seenotrettung auf dem Mittelmeer überflüssig machen, sondern auch den Schleusern ihr Geschäft mit den Flüchtlingen entziehen.


Frage: Wie kann das konkret aussehen?

Pflüger: Eine erste Maßnahme wäre es, die gemeinsame europäische Seenotrettung mindestens auf den Umfang auszubauen, wie es Italien 2013 mit der Operation "Mare Nostrum" vorgemacht hat. Außerdem könnten Familienzusammenführungen, humanitäre Visa und großzügige Flüchtlingskontingente vielen Menschen die gefährliche Flucht über das Mittelmeer ersparen. Klar ist: Wenn 65 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind, kann einer der reichsten und wirtschaftsstärksten Kontinente der Welt nicht einfach abseits stehen. Mit ihrer momentanen Abschottungspolitik verrät die EU doch alle ihre humanistischen und christlichen Werte. Oder, wie Papst Franziskus es vor einiger Zeit ausgedrückt hat: Europa verliert seine Seele.

Frage: Hat Europa seine Seele in dieser Hinsicht nicht längst verloren? Bis heute streiten die EU-Mitglieder über die Verteilung der Flüchtlinge in Europa; ein solidarisches Miteinander ist nicht absehbar...
Pflüger:
In der Tat, auch wir vermissen die notwendige Solidarität innerhalb Europas. Zumal sich das geltende "Dublin-System", wonach ein Flüchtling in dem Staat, in dem er zum ersten Mal europäischen Boden betritt, Asyl beantragen muss, längst als ungerecht und völlig unbrauchbar erwiesen hat. Italien beispielsweise fühlt sich zu Recht von den anderen EU-Staaten im Stich gelassen. Wir brauchen dringend eine grundlegende und solidarische Reform des "Dublin-Systems".

Frage: Aber mit einer bloßen Änderung der Regeln in Europa ist es doch wohl nicht getan.
Pflüger: Da haben Sie völlig Recht! Seit Herbst 2015 versucht Europa panisch, Flucht und Migration aus Afrika zu unterbinden. Dabei wird der größte Teil der afrikanischen Flüchtlinge in Afrika selbst aufgenommen; allein in Ostafrika werden über vier Millionen Flüchtlinge und etwa sieben Millionen Binnenvertriebene beherbergt. Während Europa viel Geld für Abwehrmaßnahmen ausgibt, sind internationale Flüchtlingsprogramme für wichtige Aufnahmeländer wie Äthiopien, Kenia und Uganda dramatisch unterfinanziert. Wenn aber Flüchtlinge keine Sicherheit und Lebensper-spektive in Afrika finden, sind sie gezwungen, ihren Weg Richtung Europa fortzusetzen. Von einem Land wie Uganda könnte Europa viel lernen. Es weist Flüchtlingen Ackerland zu, erteilt ihnen eine Arbeitserlaubnis und gibt ihnen so die Möglichkeit, sich selbst zu versorgen. Damit hat Uganda eines der großzügigsten und nachhaltigsten Asylsysteme der Welt.

Frage: Noch einmal zurück zur aktuellen Frage der Seenotrettung. Müsste nicht auch die Kirche mit ihren Institutionen hier unmittelbarer selbst aktiv werden, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten? Konkret gefragt: Könnte der Jesuiten-Flüchtlingsdienst die entstandene Lücke bei der Seenotrettung kurzfristig schließen?
Pflüger: Dazu sehe ich uns derzeit nicht in der Lage - und die Hilfsorga-nisationen haben ja auch nachvollziehbare Gründe genannt, warum sie sich aus der Seenotrettung zurückgezogen haben. Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst ist schon jetzt auf beiden Seiten des Mittelmeers aktiv und arbeitet dort direkt mit Menschen auf der Flucht zusammen. Darüber hinaus darf man nicht vergessen: Die mediale Aufmerksamkeit konzentriert sich zwar stark auf das Mittelmeer; das ist auch wichtig, weil dort Menschen unnötig sterben. Die Kirche und ihre Hilfsorganisationen sind aber noch an vielen anderen Orten aktiv, wo ebenfalls Menschen auf der Flucht sterben, wo es viele Medien in Europa aber sehr viel weniger interessiert: Auf den Fluchtwegen durch die Sahara etwa, oder bei den Flüchtlingen aus dem Südsudan, aus Somalia, dem Jemen oder Eritrea. Das sollte man trotz der Tragödie im Mittelmeer nicht aus dem Blick verlieren.

 

ECUMENE: GEMEINSAME REISE INS HEILIGE LAND

Als einen "bedeutsamen Schritt zur Versöhnung der beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland" haben der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, die gemeinsame Pilgerreise ins Heilige Land bewertet.

Zugleich riefen sie Religionen und Gesellschaft im Heiligen Land auf, einen Weg des Friedens und der Verständigung einzuschlagen. Zum Abschluss ihrer Reise veröffentlichten EKD und Deutsche Bischofskonferenz eine gemeinsame "Christusbotschaft": "Unsere gemeinsame Mission für unser Land ist noch nicht vollendet.

Wir sind zuversichtlich, dass das Christusfest 2017 zu einem glaubwürdigen Zeugnis für Gott wird und uns über dieses Jahr hinaus auf unserem Weg zur vollen sichtbaren Einheit stärkt", heißt es in dem gemeinsamen Papier.

"Auf dem Weg zu unseren gemeinsamen Wurzeln haben wir erlebt, wie unsere ökumenische Verbundenheit an Tiefe und Stärke gewonnen hat", sagte Kardinal Marx bei einem Pressegespräch in Jerusalem. "In der Begegnung mit den Heiligen Stätten haben wir gespürt, wie tief wir als Jüngerinnen und Jünger Jesu in seiner Nachfolge miteinander vereint sind." Erinnert worden seien sie aber auch daran, dass katholische und evangelische Christinnen und Christen einander in den vergangenen 500 Jahren viel angetan hätten. "Gemeinsam bitten wir Gott um Heilung dieser schmerzlichen Erinnerungen", so Kardinal Reinhard Marx.

Als schmerzlich haben die Teilnehmer der Pilgerreise durch das Heilige Land auch den ungelösten Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern empfunden. Zugleich würdigten sie den Beitrag, den die im Heiligen Land lebenden Christinnen und Christen zum Gemeinwohl und für ein friedliches Zusammenleben mit Juden und Muslimen leisten. "Wir haben den Pilgerweg ins Heilige Land auch eingeschlagen, um uns zur Umkehr rufen zu lassen." Es sei Auftrag der Kirchen, "gemeinsam einzutreten gegen jegliche Form von Antisemitismus und Rassismus, die unsere Beziehungen vergiften und den Frieden gefährden", heißt es in dem gemeinsam veröffentlichten Text. "Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern hat viele Verlierer auf beiden Seiten. Die fortgesetzt auftretende Gewalt zeigt, wie zerbrechlich der Frieden ist, den dieses Land so dringend braucht."


Nahe gegangen sei den Delegationen auch, dass nur wenige Kilometer vom See Genezareth entfernt in Syrien und auch im Irak Menschen leiden und sterben, berichteten Bedford-Strohm und Marx: "Für sie haben wir in unseren Gottesdiensten gebetet, denken auch weiterhin mit großer Sorge an sie und bleiben ihnen solidarisch verbunden."


Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm bezeichnete die Reise als eine "unvergessliche Erfahrung", durch die die evangelischen und katholischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer die jeweils andere Tradition noch besser verstanden hätten:

"Wir haben gelernt, mit den Augen des anderen zu sehen. Das ist eine ganz starke Grundlage für den ökumenischen Geist des Reformationsjubiläums", so der bayerische Landesbischof.

"Bei der Feier von Eucharistie und Abendmahl haben wir aber auch gespürt, dass die versöhnte Verschiedenheit ein anspruchsvolles Ziel ist. Es ist ein Schmerz, wenn die tiefgefühlte Gemeinschaft nicht auch am Tisch des Herrn ihren Ausdruck finden kann."

Auf dem Pilgerweg durchs Heilige Land hatte die gemeinsame Delegation von jeweils neun Vertretern der beiden Kirchen biblische Stätten am See Genezareth, auf dem Weg nach und in Jerusalem besucht.

Außerdem führten sie Gespräche mit Vertretern aus Kirche und Politik. Dabei wurden sie unter anderem von Israels Staatspräsident Reuven Rivlin und dem Botschafter Palästinas beim Heiligen Stuhl, Issa Qassassieh, empfangen.

Die Delegation besuchte auch die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und gedachte der Millionen Juden, die in der Shoah ermordet wurden. Die gemeinsame Pilgerreise der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD endet mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Jerusalemer Dormitio-Abtei.

 

 

KNA-Nachrichten

Die Türkei wird ein immer schwierigerer Ort für Christen

 

Liebe Leserinnen und Leser,

unter Präsident Recep Tayyip Erdogan wird die Türkei für Christen ein zunehmend unangenehmer Aufenthaltsort. Im Interview mit katholisch.de erklärt Timo Güzelmansur, wie schwierig die Lage der Christen dort wirklich ist. "In der Türkei gibt es eine Kultfreiheit - die Christen dürfen also ihren Glauben innerhalb der Kirchenmauern ausüben. Alles weitere, was noch mit echter Religionsfreiheit verbunden wäre, bleibt ihnen jedoch verwehrt.", sagt er.
"Keine Sympathie für Christen"

 

Zuletzt häuften sich Berichte über Kirchenschließuungen und Enteignungen. Darin wird eine ablehnende Haltung gegenüber dem Christentum deutlich, sagt Timo Güzelmansur. Der Theologe leitet die Stelle für christlich-islamischen Dialog der Deutschen Bischofskonferenz. Im Interview erklärt er, wie schwierig die Lage der Christen in der Türkei wirklich ist.

Frage: In letzter Zeit häufen sich Nachrichten über Kirchenschließungen in der Türkei. Ist das Zufall oder steckt dahinter ein System?
Timo Güzelmansur: Einen direkten Zusammenhang gibt es wohl nicht, aber ich beobachte eine Tendenz in der türkischen Politik gegenüber christlichen Kirchen. Die Türkei fährt meines Erachtens eine doppelte Strategie: Einerseits tut man so, als ob die Christen in der Türkei nichts zu befürchten hätten und die staatlichen Behörden für sie ein offenes Ohr haben. Andererseits werden Kirchen und kirchliche Gebäude systematisch konfisziert, wie in Bursa und Diyarbakir. Es kann zwar sein, dass nach den monatelangen Kämpfen zwischen Kurden und türkischen Sicherheitskräften die Lage in der zerstörten Altstadt von Diyarbakir prekär ist. Aber ob der Staat die deswegen enteigneten Gebäude jemals zurückgeben wird, ist nicht ausgemacht. In Bursa gibt es gar keine Kämpfe gegen die Kurden, die Regierung schiebt andere Gründe vor, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen.

Frage: Wie stellt sich die Lage der Christen in der Türkei dar - können sie ihren Glauben frei leben?
Güzelmansur: In der Türkei gibt es eine Kultfreiheit - die Christen dürfen also ihren Glauben innerhalb der Kirchenmauern ausüben. Alles weitere, was noch mit echter Religionsfreiheit verbunden wäre, bleibt ihnen jedoch verwehrt. Es gibt keine Möglichkeit Theologen oder Priester auszubilden. Das Priesterseminar des Ökumenischen Patriarchats ist seit Jahrzehnten geschlossen. Obwohl die Regierung mehrmals beteuert hat diese Bildungseinrichtung öffnen zu wollen, ist das bis heute nicht geschehen.

Frage: Die christlichen Gemeinden und Kirchen in der Türkei haben keinen "geregelten Rechtsstatus" - was heißt das genau?
Güzelmansur: Keine Kirche oder christliche Gemeinde ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt. Sowohl die griechisch-orthodoxe, die armenisch-orthodoxe als auch die katholische Kirche haben Probleme, was die Ausbildung des Priesternachwuchses aber auch Einstellung von Personal angeht. Die fehlende Rechtssicherheit zeigt sich beispielsweise im Falle des 2006 in der Kirche von Trabzon Ermordeten Priesters Don Andrea Santoro. Die katholische Kirche konnte sich nicht an dem Prozess beteiligen, weil sie juristisch keine Rechtsperson ist. Es gibt weitere Schwierigkeiten unterschiedlichen Grades: Wenn die katholische Kirche einen Priester oder Ordensmann/-frau aus dem Ausland beschäftigen möchte, dann bekommt diese Person keine Aufenthaltserlaubnis, Arbeitserlaubnis oder keine Verlängerung derselben. Man lebt in einem permanenten, ungewissen Zustand.

Frage: Wie viele Christen gibt es in der Türkei und welchen verschiedenen Konfessionen gehören diese an?
Güzelmansur: Es ist schwierig eine exakte Zahl an Christen in der Türkei anzugeben. Bei einer Einwohnerzahl von circa 75 Millionen gibt es etwa zwei Prozent Christen. In der Türkei finden wir fast die ganze Bandbreite der christlichen Konfessionen: griechisch-orthodox, armenisch-orthodox, syrisch-orthodox, syrisch-katholisch, armenisch-katholisch. Außerdem gibt es Chaldäer, Maroniten, Anglikaner und diverse protestantische Gemeinden und evangelische Freikirchen.
"Türkei steht in der Verantwortung"
Mit Sorge haben die deutschen Bischöfe die Verstaatlichung einiger Kirchen in der Türkei zur Kenntnis genommen. Sie fordern die Regierung auf, die Religionsfreiheit strikt zu beachten.

Frage: Wie funktioniert das Zusammenleben zwischen Muslimen und Christen?
Güzelmansur: Es gibt nur wenige Städte, wo Christen heute ganz offen in der Türkei leben. An diesen Orten gibt es eine lange Tradition des Zusammenlebens wie zum Beispiel in Antakya im Süden der Türkei. Hier kennt man sich und gratuliert sich gegenseitig zu den Festen. Die staatlichen Autoritäten rühmen sich mit der religiösen Vielfalt. Dennoch dürfen Christen nur mit einer Erlaubnis Gottesdienst in der Petrusgrotte feiern.
In der jüngsten Zeit grassiert in der Türkei außerdem ein Nationalismus, der vieles, was nicht islamisch ist und eindeutig zum "Türkentum" gehört, zum Feind erklärt und gar als Spionage der ausländischen Mächte ansieht. Es gibt in weiten Teilen der Bevölkerung keine Sympathie für Christen.

Frage: Derzeit hat man den Eindruck, dass die Türkei ihre informelle Machtstellung wegen des Flüchtlingsabkommens mit der EU politisch ausnutzt. Leiden darunter auch die Christen vor Ort?
Güzelmansur: Das Abkommen der EU mit der Türkei ist ein herber Schlag - weniger für Christen, dafür umso mehr für viele Menschen in der Türkei, die mit der türkischen Politik und den jüngsten Entwicklungen nicht einverstanden sind. Die Menschen fühlen sich von der Europäischen Union verraten, da diese Präsident Erdogan hofiert, der in der Türkei beinahe alle europäischen Werte missachtet und jede oppositionelle Stimme zu unterdrücken versucht. Das macht den Christen nicht gerade Hoffnung auf bessere Zeiten in der Türkei. Aber die Christen haben in diesem Land schon schlimmere Zeiten hinter sich gebracht. Das werden sie auch überstehen.

In den vergangenen Monaten wurden in der Türkei in mehreren Städten Kirchen verstaatlicht: Erst am vergangenen Donnerstag ließ die Meldung aufschrecken, dass der türkische Staat das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel enteignen will.
Bereits geschehen ist das mit dem orthodoxen Kloster auf der Insel Chalki.
Auch in Diyarbakir und der westtürkischen Stadt Bursa gab es seit Anfang des Jahres ähnliche Entwicklungen.

Von Gabriele Höfling KNA April 2016

 

 

FLÜCHTLINGE

 

Die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, wächst immer weiter. Die Bundesländer und die Kommunen werden in diesem Jahr ihre finanziellen und personellen Anstrengungen verdoppeln müssen, um ihren Pflichten bei ihrer Unterbringung, ihrer Betreuung und Versorgung nachzukommen. Sie müssen kurzfristig weitere Flüchtlingsunterkünfte aufbauen und die Betreuung der Menschen organisieren. Die Ministerpräsidenten. die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und Bürgermeister gleich welcher Parteizugehörigkeit fordern zu Recht eine höhere finanzielle, materielle und personelle Beteiligung des Bundes an dieser Aufgabe. Besonders in den Kommunen sind die unmittelbar beauftragten Mitarbeiter bereits jetzt, so kann man lesen, bis an ihre Leistungsgrenze belastet.

Vor diesem Hintergrund machen Meldungen über Proteste und Gewalttaten vor aktuellen oder zukünftigen Flüchtlings-unterkünften nachdenklich. Die Statistik verzeichnet bis heute über 150 solcher Übergriffe im ersten Halbjahr 2015. Zu den jüngsten gehören die gewaltsamen Proteste in der Dresdner Friedrichstadt, bei der Worte und Böller. Flaschen und andere Gegenstände flogen, bei Leipzig haben Unbekannte auf eine Unterkunft geschossen, bei Ingolstadt brannte eine geplante Asylunterkunft. Die Liste lässt sich noch lange fortsetzen.

Es ist richtig, dass deutsche Bischöfe und Kirchengemeinden, geweihte und nicht-geweihte Christen unmissverständlich ihre Stimme gegen Gewalt erheben. "Wir beugen uns nicht der Gewalt. Wir anerkennen die Verpflichtung einer wohlhabenden

Gesellschaft. Flüchtlingen zu helfen", stellt Bischof Norbert Trelle klar, in der Deutschen Bischofskonferenz für Migrationsfragen zuständig. Wer angesichts der jüngsten Vorkommnisse schweigt oder wegsieht, der verrät die christliche Werteordnung. "Nicht ein Hauch eines Zweifels ist erlaubt: Wo Flüchtlinge bedroht sind steht die Kirche an ihrer Seite". mahnt ihr Vorsitzender Kardinal Reinhard Man.

Die Taten christlicher Gemeinden in ganz Deutschland unterstreichen diese Worte.

Wer sich die Berichte auf der Internetseite www.aktion-neue-nachbarn.de anschaut, erhält einen Eindruck von den Aktionen, die von katholischen Gemeinden. aus religiösen Gemeinschaften. Verbänden und Initiativen ausgehen.

Dieser Nächstenliebe kann sich jeder Christ gerne anschließen oder einen eigenen Beitrag leisten. Das ist der Ausdruck einer "Willkommenskultur", zu der Kardinal Rainer Maria Woelki seit 2014 aufruft.

Deshalb ist es neben dem Protest gegen Übergriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte für das gesellschaftliche Klima in Deutschland auch wichtig, daran zu erinnern, zu welchen helfenden Anstrengungen Mitbürger bis heute für Flüchtlinge und Asylsuchende bereit sind.

Bernhard Raspels, KZKöln


 

STIMMEN ZUR STERBEHILFE

Der Spiegel konstatierte: "Es geht nicht um den schnellen, einfachen Ausweg. Auch eine liberale Gesellschaft ist gut beraten, hohe Hürden zwischen dem ersten Todeswunsch und der tatsächlichen Sterbehilfe zu errichten.

Oft ist dieser Wunsch bei Patienten nicht nachhaltig, oft ändern sie ihre Meinung, wenn sie mit jemandem über ihre Ängste reden können - vor allem wenn ihnen Perspektiven aufgezeigt werden, wie ein würdevoller Lebensabend gelingen kann.

Dazu müsste der Staat weit mehr in Hospize und die schmerz-lindernde Palliativmedizin investieren, aber ein würdiger Tod ohne Sterbehilfe scheitert in Deutschland bislang auch am Geld. (...)

Ein Verfahren, das Ärzten wie Patienten gerechter würde, könnte die Schaffung vieler kleiner Ethikräte sein: in jeder Kommune - besetzt mit Ärzten, Psychologen, Seelsorgern, Juristen, staatlich legitimiert, aber nicht kontrolliert. (...) Ethikräte könnten eher leisten, was Bundesregierung oder Bundestag niemals leisten können: dem einzelnen Schicksal gerecht zu werden. (...)

Am Ende stünde ein Rat, auf den sich der Arzt berufen könnte. Moralisch wie juristisch. Auch dies wäre keine eindeutige Lösung. Aber pauschale Regelungen verbieten sich, wenn es um die letzten und heikelsten Fragen des Lebens geht."

Die Welt führte aus: "In der Diskussion über die Sterbehilfe gibt es noch ein anderes Argument.

Es ist im Grunde ein Versprechen. Versprochen wird, dass mit einer bestimmten Erweiterung der Medizin das qualvolle Sterben in ein friedliches Sterben überführt werden kann - und so die Option des Suizids überflüssig wird. Diese Erweiterung soll die Palliativmedizin bieten.

Seit in Deutschland die Gesetzesinitiative für den assistierten Suizid unterwegs ist, ist das Wort ‚palliativ' in aller Munde - bis hinauf zum Gesundheitsminister und zur Bundeskanzlerin. Mit diesem Wort wird eine sanfte medizinische, pflegerische, soziale und spirituelle Begleitung verbunden, die es ermöglichen soll, alle qualvollen Sterbeprozesse zu vermeiden. (...)

So bleibt am Ende doch die Gefahr eines qualvollen Todes bestehen. Gegenüber dieser Gefahr ist der assistierte Suizid ein begründbarer letzter Ausweg. Die Mehrzahl der Menschen wird nicht in die Lage kommen, von dieser Ultima Ratio Gebrauch zu machen.

Und doch ist das Bestehen dieser Option von entscheidender Wichtigkeit für alle Menschen - als eine Schutzvorrichtung, damit dem Ende des Lebens nicht ein für alle verbindlicher und überwachter Zwangsverlauf verordnet wird.

Die Entscheidung über das richtige Sterben muss der Privatsphäre der Menschen anvertraut bleiben, und das bedeutet nicht, sie allein zu lassen. Viel eher wird es den Wert von Ehe, Familie und guten Freunden erhöhen."

Die Mittelbayerische Zeitung betonte:

"Das Gefühl, den eigenen Tod vor Augen zu haben, lässt sich nicht wirklich simulieren. Das macht Antworten so schwierig.

Aufgabe der Gesellschaft ist es, todkranke Menschen bestmöglich palliativ zu begleiten.

Dazu braucht es geeignete Pflegekräfte und ausreichend Plätze in Hospizen und Palliativstationen.

Kein Sterbender sollte sich den Tod herbeiwünschen, weil er schlecht versorgt ist.

Erst danach kann man über einen ärztlich begleiteten Suizid nachdenken. Der Weg dahin ist lang."